Diesmal bleiben wir gleich in der Westernstraße und zwar im Nachbarhaus der früheren Adler Drogerie (siehe letzter Beitrag), in der Nr. 9. Bereits 1798 ist hier eine Fleischerei, damals Schlachterei genannt, im Besitz von Joh. Chr. Klemm. Das Haus selbst, ein Kothhaus, zählt die Nr. 20. Ein Kothhaus war ein schlechtes oder geringfügiges Haus, welches keinen Grundbesitz hatte und nicht über Rechte, wie beispielsweise das Braurecht, verfügte.
Vor 1877 bis 1895 befindet sich das Haus im Besitz von Fleischermeister und Restaurateur Ernst Sonntag. Vermutlich wurde hier, in dieser Zeit, von ihm auch die Schankwirtschaft eingerichtet, wie der Anzeige von 1895 zu entnehmen ist. 1895 erwirbt der Fleischermeister Gustav Kalz das Haus und Geschäft in der Westernstraße, das inzwischen die Nr. 6 trägt und zieht aus seinem bisherigen Geschäft in der Kochstraße 14 hierher um. Am Donnerstag dem 4. April des Jahres eröffnet er, als Fleischermeister und Gastwirt, sein neues Geschäft als „Schmelzerei und Schankwirtschaft“. In der Anzeige aus dieser Zeit wird zwar das Wort Schmelzerei mit „e“ geschrieben, aber da es sich um einen Fleischer handelt ist die Herstellung von Schmalz gemeint. Daraus ist zu schließen, dass es sich um eine reine Schweineschlachterei handelt. Später nannte sich das Geschäft auch so. Auf der Ansichtskarte von 1910 steht über der Tür „Schweineschlachterei von G. Kalz“ und auf dem, am Haus dreieckig vorspringenden Schild ist etwas schwer zu lesen „Fleischerei und Schankwirtschaft“. Später muss Gustav Kalz auch noch Fremdenzimmer vermietet haben, denn in der Anzeige von 1926 wird auf „Gute Betten“ hingewiesen.
Ab 1927 betreibt Gustav Kalz zusammen mit seinem Schwiegersohn, dem Schlachter, Karl Schmidt ein zweites Geschäft in der Breiten Straße 31, welches aber 1931 an die Viehhandlung und Großschlachterei Otto Tangermann aus Halberstadt verkauft wird. Von 1929 bis nach 1948 ist Karl Schmidt alleiniger Inhaber und nennt das Geschäft in der Westernstraße 6 nun „Fleischerei Schmidt und Kalz Speisewirtschaft“. Ab November 1951 führt der Fleischermeister Martin Stagge das Geschäft als „Fleischerei und Gasthaus Kalz“, bis es dann 1953 von der HO Fleischwaren übernommen wird. Unter der Leitung der HO führen anfangs noch Karl Schmidt und seine Frau Frieda, geb. Kalz das Fleischereigeschäft weiter. In der bisherigen Speisewirtschaft richtet die HO eine „Werkküche“ ein. Sie diente zur Speiseversorgung von Mitarbeitern der HO und umliegender kleinerer Betriebe und Institutionen. Anfang der 60er Jahre wird das Geschäft von Fleischwaren in HO Fischwaren umgewandelt. Später ist in dem Haus neben der noch immer bestehenden HO Werkküche auch die Verwaltung der HO Handelsbereiche Lebensmittel und Industriewaren untergebracht. 1990 kauft der Unternehmer Grothe aus Cuxhafen das Haus von Frau Waldmann, Erbin Kalz. Er führt noch einige Zeit einen Fischhandel in dem Geschäft, das er umbaut und die Ladenfassade in einem für Wernigerode untypischen Stil gestaltet. 1992 kann die Familie Hollmann, aus Karlsruhe, das inzwischen wieder leerstehende Haus käuflich erwerben. Familie Hollmann beginnt das Erdgeschoss grundlegend zu modernisieren und in Abstimmung mit Denkmalschutz und Bauamt die Fassade in passender Weise neu zu gestalten. Das nun neu entstandene Geschäft wird 1997 für die Zeit von 5 Jahren an die Brüder Aydemir vermietet, welche hier einen Handel mit Sonderposten betreiben. Seit dem Jahr 2002 befindet sich ein S.Oliver Shop in den Geschäftsräumen.
Zum Schluß noch eine Randbemerkung zur HO. Die Verwaltungen für die Bereiche Lebensmittel und Industriewaren befanden sich in den 60er Jahren noch in der Ilsenburger Straße 70, der früheren Farbenfabrik der Gebrüder Dieck. Unter dieser Adresse war Anfang der 70er Jahre noch die Verwaltungsbereiche für Wtb (Waren des täglichen Bedarfs) und Industriewaren zu finden. In der Westernstraße 9 waren die Verwaltungen für den HO Handelsbereich Wernigerode – Lebensmittel, Industriewaren und Filialbetrieb Möbel-Kulturwaren untergebracht. Ende der 70er Jahre befanden sich Lebensmittel und Industriewaren wieder in der Ilsenburger Straße 70. Zur Erinnerung an diese Zeit sind hier noch 2 Briefköpfe der HO abgebildet, welche sich mit der Zeit ebenfals verändert hatten.